Wer kennt das nicht: Stundenlanges Üben schon lange bekannter Rechtschreibregeln und trotzdem dieselben Fehler?
Immer wieder wieder zerbrechen wir Deutschlehrkräfte uns den Kopf, wie wir unseren Rechtschreibschwachen die Rechtschreibung schmackhaft machen und die Rechtschreibstarken weiterhin fördern können, ohne auf die „Langsameren“ warten zu müssen.

Die Schiller-Realschule Frankenthal hat mit dem hier vorgestellten Drehtürmodell einen Weg zur individuellen Förderung gefunden.

Die Idee

Bei einem Orientierungsstufenleitertreffen der weiterführenden Frankenthaler Schulen und des Eleonoren-Gymnasiums Worms im Mai 2007 wurde ein Modell zum Thema „Begabtengerechte Förderung an Gymnasien“ vorgestellt, das vor allem Hochbegabten gerecht wird. Hierbei dürfen Schülerinnen und Schüler, die eine besondere Begabung aufweisen, in diesem Fach die nächst höhere Klassenstufe besuchen. So kann beispielsweise ein Achtklässler, der durch besondere Begabung in Deutsch auffällt, am Deutschunterricht der 9. Klasse teilnehmen. Eine Schülerin oder ein Schüler der 13. Klasse kann, um dieses Modell fortzuführen, auch stundenweise Vorlesungen an einer kooperierenden Universität besuchen. Wäre eine solche Forderung nicht auch auf die Realschule übertragbar? Allmählich reifte in mir der Gedanke, ein „Drehtürmodell“ innerhalb einer Klassenstufe zu entwickeln und zu erproben. Der Bereich der Rechtschreibung schien mir besonders dafür geeignet, denn auch im Zeitalter des Computers und der Möglichkeit, seinen Text mittels elektronischer Textverarbeitung von diesem korrigieren zu lassen, ist es immer noch wichtig, richtig schreiben zu können, um z. B. im Beruf Erfolg zu haben. Unsere damalige Schulleiterin konnte ich von den Vorzügen dieses Modells überzeugen, nicht zuletzt, weil es auch der Verwaltungsvorschrift zur „Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben“ des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur vom 28. August 2007 entspricht.
So starteten wir im Schuljahr 2007/08 mit vier 6. Klassen in sechs bezüglich der Rechtschreibleistung homogenen Gruppen. Da in dieser Klassenstufe Deutsch fünfstündig unterrichtet wird, wurde beim Erstellen des Stundenplanes darauf geachtet, dass eine Deutschstunde in diesen Klassen parallel läuft und im Stundenplan fest für das „Drehtürmodell“ verankert wird.

Organisatorische Voraussetzungen

Der Klassenverband wird in dieser Wochenstunde aufgelöst, die Lernenden werden in „lernhomogene“ Kleingruppen eingeteilt (max. 20 Personen pro Gruppe wären wünschenswert). Wer in welche Gruppe passt, wird durch einen Eingangstest (Diktat) festgestellt. Da wir diese Form der Förderung mit der Klassenstufe 6 durchführten, war die Erfahrung der Deutschlehrkräfte mit der einzelnen Schülerin oder dem einzelnen Schüler vom Vorjahr bei der Einteilung hilfreich. Nach einem zuvor festgelegten Zeitraum (z. B. acht Wochen) wird ein weiterer Test durchgeführt. Hat sich eine Schülerin oder ein Schüler verbessert, kommt sie oder er in eine andere leistungsstärkere Gruppe. Haben sich ihre/seine Rechtschreibprobleme nicht verringert, bleibt die Schülerin oder der Schüler in dieser Gruppe oder geht in die Gruppe mit Leistungsschwächeren. Wir erklärten die Vorzüge dieser Vorgehensweise damit, dass die Lernenden in einer kleineren Lerngruppe eine persönliche und dadurch noch bessere Förderung erhalten. Die Eltern informierten wir vorab über einen ausführlichen Elternbrief.
Damit die individuelle Förderung gewährleistet ist, sollte die Gruppe der Rechtschreibschwächsten am kleinsten sein (höchstens zehn Schülerinnen und Schüler). Um kleine Gruppen zu erhalten, ist mindestens eine weitere Lehrkraft für dieses Projekt notwendig. Da wir PES-Schule (Projekt Erweiterte Selbstständigkeit) sind, konnten wir sechs Fachlehrerinnen und Fachlehrer bei vier Deutschklassen (sechs Lerngruppen) einsetzen. In allen Gruppen wird derselbe Stoff durchgenommen. Dies ermöglicht einen reibungslosen Wechsel in eine andere Gruppe. Stärkeren gibt man zusätzlich „kniffligere“ Aufgaben.
Weitere wichtige Voraussetzungen für das Gelingen dieses Modells sind die Zusammenarbeit und genaue Absprache zwischen den beteiligten Lehrerinnen und Lehrern.

Motivation und Erfolg

In dieser einen „Drehtür“-Wochenstunde trafen die Schülerinnen und Schüler aus Parallelklassen zusammen, auch mit denen, die in anderen Fächern zu den besten gehörten. Selbst Schwache, die sich am „normalen“ Unterricht kaum beteiligten, gewannen schnell an Selbstvertrauen und arbeiteten in der homogenen Lerngruppe aktiv mit, nach dem Motto: „Hier sitzen alle im selben Boot, also brauch’ ich mich nicht zu schämen, ich kann nur gewinnen.“
Die Schülerinnen und Schüler fühlten, dass sie und ihre Probleme ernst genommen wurden. Sie lernten selbstständig mit ihren Rechtschreibproblemen umzugehen. Durch das Erlernen und Üben entsprechender Strategien und den respektvollen Umgang miteinander gewannen sie schnell Selbstvertrauen und Sicherheit.
Schon nach kurzer Zeit war ein Erfolg spürbar. Da sie durchweg bessere Leistungen erbrachten, mussten sie auch keine Angst mehr vor Diktaten haben. In allen beteiligten Gruppen konnten wir beobachten, dass sich die Schülerinnen und Schüler gelassen und ruhig der nächsten Klassenarbeit, dem Diktat, stellten.
Sogar bei Aufsätzen, bei denen sie sich bisher auf den Inhalt konzentrierten, wurden seit der Durchführung dieses Rechtschreibprojektes merklich weniger Rechtschreibfehler gemacht. Wir konnten auch unseren neuen Schulleiter vom Erfolg des „Drehtürmodells“ überzeugen, und so führen wir es in diesem Schuljahr (2008/09) in den Klassenstufen 5 und 6 durch. Dieses Modell könnte beispielsweise auch bei der Leseförderung eingesetzt werden. Ebenfalls in anderen Fächern wie in Mathematik oder Englisch wäre der Einsatz denkbar.

Material und Methode

Das Arbeitsmaterial, das wir den Kindern zur Verfügung stellten, basiert auf den neuesten Erkenntnissen aus der Gedächtnisforschung über den Prozess des Schreibenlernens. Schülerinnen und Schüler versuchen oft, sich schwierige Wörter durch abstrakte Regeln oder mechanisches Schreiben zu merken. Bei der Speicherung eines neuen Wortes ist jedoch die Vernetzung mit bereits vorhandenen Fertigkeiten und Kenntnissen wichtig.
Die Methodik „Robotersprache“ fordert die Kinder auf, in Silben zu sprechen (lautgetreues Sprechen) und dabei genau auf die Laute zu hören. Sie lernen, das Wort zu gliedern, zu verlängern, abzuleiten, sie sprechen dabei überdeutlich mit und hören genau hin. Sie betrachten dabei das Wort mit mehreren Sinnen und können damit Fehlern beim Schreiben vorbeugen bzw. im Nachhinein korrigieren, bis sich eine Automatisierung vollzogen hat. Diese Strategien helfen bei mindestens 90 % aller Wörter des deutschen Wortschatzes. (Streer, Jutta/Streer, Gerald, a. a. O.) Für die Rechtschreibstarken stellte die unterrichtende Lehrkraft aus ihrem „Fundus“ zusätzlich Material zur Verfügung.

Feedback aus Schülersicht

Am Ende des Schuljahres 2007/08 führten wir eine Schülerbefragung durch. Die Äußerungen waren durchweg positiv. Wenn aus organisatorischen Gründen dieser Unterricht ausfiel, äußerten die Schülerinnen und Schüler darüber großes Bedauern.

„Ich fand gut, in so kleinen Gruppen Unterricht zu haben.“
„Mir hat die Drehtür gefallen, weil ich bei verschiedenen Lehrern Verschiedenes gelernt habe.“
„Am besten hat’s mir gefallen, dass alle Kinder nett waren. Und es machte Spaß.
„Das Drehtürmodell hat mir gefallen, denn ich habe mich im Diktat sehr verbessert.“
„Es hat mir sehr gut gefallen, denn ich habe meine Deutschnote verbessert.“
„Ich hab mich von Fünf auf Vier verbessert, meine letzte Klassenarbeit war sogar eine Zwei.“
„Es hat mir gefallen, weil es irgendwie Spaß gemacht hat.“

Fazit

Die Ergebnisse des im letzten Schuljahr eingeführten Drehtürmodells fielen besser aus, als wir zu Beginn des Projektes erwarten konnten. Die positiven Reaktionen von Schülerinnen und Schülern, Kolleginnen und Kollegen ermutigten uns, das Modell in diesem Schuljahr in zwei Klassenstufen einzuführen. Wenn die organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten, insbesondere die Lehrerwochenstunden, gegeben sind, wäre die Einführung in weiteren Fächern wünschenswert.

 

Literatur

Streer, Jutta/Streer, Gerald: Arbeitsheft „Richtig schreiben – aber sicher. Mit Strategien Rechtschreibfehler vermeiden“, Heft 1, Klett-Verlag, Stuttgart, 2005
Fulde, Agnes/Piepenbrock, Christiane: Arbeitsheft „Rechtschreiben erforschen 5/6″, Cornelsen-Verlag, Berlin, 2006

Auszug aus der Verwaltungsvorschrift zur „Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben“

§ 2 Grundsätze der individuellen Förderung

§ 2.1 Jede Schülerin und jeder Schüler ist entsprechend der individuellen Lernvoraussetzungen und Entwicklungsmöglichkeiten durch geeignete Lern- und Arbeitsformen zu fördern.

§ 2.2 Individuelle Förderung in der Schule orientiert sich deshalb vorrangig am Lernentwicklungsstand, den Lernbedingungen und Arbeitsmöglichkeiten der einzelnen Schülerinnen und Schüler.

§ 3 Besondere Förderung

§ 3.1 Aus dem schulgesetzlichen Auftrag der individuellen Förderung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 SchuG) leitet sich für die Schule die Verpflichtung ab, Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben früh zu erkennen. …

§ 3.2 In einzelnen Leistungsberei-chen sind ggf. differenzierte Anforderungen zu stellen.

§ 3.5 Die besondere Förderung hat insbesondere zum Ziel,

– die Stärken von Schülerinnen und Schülern herauszufinden, sie ihnen bewusst zu machen und Erfolgserlebnisse zu vermitteln,

– Arbeitstechniken und Lernstrategien zu vermitteln, um die vorhandenen Schwächen ausgleichen zu können, …

Jutta Reutner-Schulze unterrichtet an der Schiller-Realschule in Frankenthal die Fächer Biologie, Deutsch, Mathematik, MN-Biologie und NaWi. Sie ist als pädagogische Koordinatorin Teil des Schulleitungsteam und hier u. a. verantwortlich für die Klassenstufe 7.